Archivmeldung

„Forum für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ Programmstart zur „Villa_“

Der neue Lernort „Die Villa_ Forum für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ wird am Sonntag, 15. September, im Museumsquartier Osnabrück eröffnet. Das Konzept der „Villa_“ hat bereits im Vorfeld für große öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt, insbesondere durch eine Kontroverse um die Namensgebung. Das Programm der „Villa_“ zeigt, dass kritischer Dialog weiterhin Kern des Angebots im neuen Haus des MQ4 sein wird. Es werden kritische Fragen an die Gesellschaft gestellt und produktive Debatten gefördert.

Das Forum bietet – ergänzend zur Dauerausstellung - eine breite Palette an Führungen und Workshops. Führungen thematisieren den „Nationalsozialismus in Osnabrück“, „Hans Georg Calmeyer“ oder die Geschichte der Familie Nussbaum. Workshops für Jugendliche ab 15 Jahren greifen die Geschichte des Hauses und die Ausstellungsthemen auf und behandeln unter anderem „Formen der Diskriminierung“, „Zivilcourage“ und „Verantwortung und Täterschaft“. Zusätzlich werden Stadtrundgänge zur nationalsozialistische Geschichte angeboten. 

Die Annäherung an Themen wie Diskriminierung, Flucht und kulturelle Identität erfolgt nicht nur durch historische und politische Bildungsarbeit, sondern auch durch künstlerische Zugänge wie Literatur, Theater und Film. Die Reihe „Geschichte(n) erzählen“, eine Kooperation mit dem Literaturbüro Westniedersachsen und der Volkshochschule Osnabrück, widmet sich der Erinnerungskultur auf literarische Weise. Zeitgenössische Romane, die historische Ereignisse und persönliche sowie kollektive Erfahrungen verarbeiten, stehen im Mittelpunkt. 

Mit der Vortragsreihe „Topografien des Terrors“ werden aktuelle Themen der Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur aufgenommen. Hier werden Aspekte der NS-Geschichte wie die Diktatur und die autoritäre Staatsführung sowie deren negativen Folgen für das offene und freie Leben von Gesellschaften thematisiert, aber auch die Erinnerungskultur. Der Blick über den Tellerrand, etwa auf die Diktatur in Chile oder Gespräche mit Vertretern des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam, erweitert die Perspektive. 

Zudem werden bei Fachvorträgen aktuelle gesellschaftliche Themen und Diskussionen aufgegriffen. Unter anderem werden Meron Mendel und Saba-Nur Cheema beim „Muslimisch-jüdischen Abendbrot“ über Identitätspolitik und den Nahostkonflikt sprechen. 

Das „Forum Zeitgeschichte“ bietet Raum für Gespräche darüber, wie die jüngere Geschichte das gesellschaftliche Leben bis heute prägt. Erinnerungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der NS-Zeit werden weiterhin wachgehalten, wobei zunehmend die Nachkommen über das Leben ihrer Eltern berichten. Robert van Galen wird über das Leben seiner Mutter Ruth van Galen-Herrmann, einer „Calmeyer-Jüdin“, sprechen. 

Unter dem Titel „We against silencing – Wir müssen über Widerstand sprechen.“ wird 2024 eine Veranstaltungsreihe durchgeführt, die Stimmen Gehör verschafft, denen lange in dominanzgesellschaftlichen Diskursen nicht zugehört wurde. Die Reihe thematisiert Akte des Widerstands gegen Systeme der Unterdrückung und Verfolgung. Widerstand ist vielfältig und kann laut oder leise, selbstermächtigend und von verschiedenen Emotionen wie Wut, Trauer, Hass oder Rachegefühlen sowie dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit geleitet sein.

Mittwoch, 14. August, 10.30 Uhr

„Deutschland demokratisieren“
In der Reihe „Forum Zeitgeschichte“
Eintritt frei

Nach dem Kriegsende bemühten sich die Alliierten in den westlichen Besatzungszonen, die deutsche Gesellschaft durch Entnazifizierung und Re-Education schnellstmöglich zu demokratisieren. Die Sowjetische Besatzungszone war ein Sonderfall. In der Veranstaltung wird über die entsprechenden Erfahrungen in den Familien gesprochen. 

Donnerstag, 15. August, 19 Uhr

„Jüdisch jetzt! Junge Jüdinnen und Juden über ihr Leben in Deutschland“
Lesung mit Andrea von Treuenfeld, Berlin
Eintritt: frei

Die meisten Nichtjuden in Deutschland sind noch nie einem jüdischen Menschen begegnet. Dementsprechend halten sich in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft oftmals uralte Klischees oder bestimmen undifferenzierte Neuzuschreibungen das Bild. Wie aber sieht das jüdische Leben im heutigen Deutschland wirklich aus? Ein überraschendes und informatives Buch, das die Vielfalt jüdischer Identitäten und jüdischen Lebens in Deutschland sichtbar macht und die Stimmen einer multikulturell geprägten Generation zu Gehör bringt. 

Donnerstag, 29. August, 19 Uhr

„NS-Erinnerungskultur als Kunst?!“
Hans Castrup, Osnabrück
In der Reihe „Topografien des Terrors“
Eintritt: frei

Die Erinnerung an die Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus ist in der Bundesrepublik Deutschland ein zentraler Bestandteil des gesellschaftspolitischen Diskurses. Neben einer historisch-analytischen Herangehensweise und der Begegnung mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bietet die Kunst einen weiteren Zugang, um das oft schier Unbegreifliche wie den Holocaust zu vergegenwärtigen, ohne die Würde der Opfer zu beschädigen. Kunst sucht zudem eigene Wege, um die vermeintliche Attraktivität von Ideologien, die Menschen verführt, aufzudecken und die Mechanismen von nationalsozialistischer wie nationalistischer Propaganda zu entlarven. Dazu stellt der Osnabrücker Künstler Hans Castrup eigene Video-/Audio-Arbeiten mit dem Thema „Dekonstruktion von Macht-Präsentation durch Ironie“ zur Diskussion. 

Mittwoch, 4. September, 10.30 Uhr

„Nach Westen fliehen“
In der Reihe „Forum Zeitgeschichte“
Eintritt: frei

Am Ende des Zweiten Weltkriegs erzwangen Flucht- und Vertreibung in Europa große Wanderungsbewegungen. Die geglückte Aufnahme vieler Ostdeutscher im Westen gilt heute als Erfolgsgeschichte der Integration. Doch dieser Prozess verlief keinesfalls konfliktfrei, sondern war häufig mit sozialen Mühen und Spannungen verbunden. Als Impuls berichtet Helmut Prien (Jg. 1935) von der Flucht seiner Ehefrau Helga Strömer (1940 - 2013). Sie musste 1945 mit ihrer Familie aus Glauch im ostpreußischen Masuren fliehen. 

Donnerstag, 12. September, 19 Uhr

„Wir haben die Vorzeichen nicht erkannt! Putsch und Diktatur in Chile“
Anke Fedrowitz, Osnabrück
In der Reihe „Topografien des Terrors“
Eintritt: frei

Anke Fedrowitz aus Osnabrück erlebte den Putsch des chilenischen Militärs am 11. September 1973 in Chile als junge Lehrerin. „Der Militärputsch hat uns kalt erwischt“, sagt sie, „und die Brutalität noch kälter.“ Sie berichtet von ihren Erfahrungen mit dem Sturz der gewählten Demokratie unter Salvator Allende und der Diktatur unter der von General Augusto Pinochet geführten Junta. Die Zeit lehrt sie, dass eine Diktatur immer gegen das freie Denken von kulturell aktiven Menschen wütet. Und dass das Geschehen vom anderen Ende der Welt auch 50 Jahre später aktuell bleibt, um in der Gegenwart die konkreten Gefahren einer Diktatur und ihrer Entstehung rechtzeitig erkennen zu können. 

Freitag, 20. September, 19 Uhr

„Vielleicht können wir glücklich sein“
Lesung mit Alexa Hennig von Lange
In der Reihe „Geschichte(n) erzählen“
Eintritt: 9 Euro / ermäßigt 7 Euro, Karten können an der Museumskasse erworben werden

Vielleicht können wir glücklich sein „Vielleicht können wir glücklich sein“ ist der dritte Teil von Alexa Hennig von Langes Heimkehr-Trilogie. Nach kurzen Passagen aus den beiden ersten Teilen liegt der Schwerpunkt der Lesung auf dem Abschlussband der Trilogie: Mitte der 1940er Jahre rückt die Front immer näher. Klara ist Mutter von vier Kindern, ihr Mann Gustav kämpft in Schlesien. Trotz Krieg versucht sie ihren Kindern eine schöne Kindheit zu bereiten, doch die Schuldgefühle, das jüdische Mädchen Tolla weggegeben zu haben, wüten in ihr. Über fünfzig Jahre später entdeckt Isabell nach dem Tod ihrer Großmutter einen Karton mit Tonbändern, auf die Klara ihre Lebenserinnerungen gesprochen hat. Lauschend begibt sie sich auf eine Zeitreise, erkennt, wer ihre Großmutter wirklich war und fragt sich: Was hätte ich getan, um die zu schützen, die ich liebe? 

Sonntag, 29. September, 11.30 Uhr

„Muslimisch-jüdisches Abendbrot“
Lesung mit Meron Mendel und Saba-Nur Cheema, Frankfurt
Eintritt: 9 Euro / ermäßigt 7 Euro, Karten können an der Museumskasse erworben werden

Unterschiedlicher könnten sie nicht sein: Saba-Nur Cheemas Familie kommt aus Pakistan, sie selbst ist in einem Frankfurter Brennpunktviertel aufgewachsen, geprägt vom konservativmuslimischen Gemeindeleben. Meron Mendel ist in Israel geboren und in einem Kibbuz aufgewachsen, geprägt vom Militärdienst im Westjordanland und im Libanon, bevor er zum Studium nach Deutschland kam. Als Paar blicken sie auf die sich polarisierende Welt und sprechen darüber. In ihren Essays geht es um Küchenschubladen, Kindererziehung und Kolonialismus. Um Identitätspolitik, den Nahostkonflikt und Weihnachtsbäume. Ihr Buch ist eine Analyse unserer Gegenwart, ein Plädoyer für Offenheit auch in schwierigen Zeiten und eine Einladung, miteinander zu reden. 

Dienstag, 1. Oktober, 19 Uhr

„Der ambivalente Herr Calmeyer – „Judenretter“ oder „Rad im Getriebe“?“
Reiner Wolf, Osnabrück
In der Reihe „Topografien des Terrors“
Eintritt: frei
Reiner Wolf beschäftigt sich seit längerer Zeit mit der geschichtskulturellen Auseinandersetzung um das Handeln Hans Georg Calmeyers im Zuge der Neukonzeption der „Villa_“ im Museumsquartier. Er hat dazu einen Dokumentarfilm produziert, der die unterschiedlichen Phasen und Akteurinnen und Akteuren der mitunter hitzig geführten Debatte der vergangenen Jahre aufzeigt. An die Präsentation des Films schließt sich eine Diskussion an. 

Mittwoch, 23. Oktober, 10.30 Uhr

„Kinder prägen“
In der Reihe „Forum Zeitgeschichte“
Eintritt: frei
Erfahrungen aus der Kindheit haben großen Einfluss auf das spätere Leben als Erwachsene/r. In der Veranstaltung werden die Teilnehmenden gefragt, was sie im Alter zwischen vier und 14 Lebensjahren im Elternhaus, in der Schule und im örtlichen Umfeld besonders geprägt hat. Als Einstieg stellt Bernd Kruse Jugendbücher aus der NS-Zeit vor. 

Donnerstag, 7. November, 19 Uhr

„Das Anne Frank Haus in Amsterdam und seine pädagogische Ausrichtung“
Menno Metselaar, Anne Frank Haus Amsterdam
In der Reihe „Topografien des Terrors“
Eintritt: frei

Kaum einem Schulkind ist Anne Frank nicht bekannt. Die Geschichte des jüdischen Mädchens aus Frankfurt/M. wurde durch die Rettung ihrer Tagebücher nach dem Holocaust öffentlich und bringt jungen Menschen bis heute das Leben verfolgter Menschen in der Nazizeit näher. Gemeinsam mit Annes Familie lebte auch die Osnabrücker Familie van Pels im Versteck in der Amsterdamer Prinsengracht 263, bevor alle von der Gestapo entdeckt und deportiert wurden, um schließlich in Konzentrationslagern umzukommen.

Der Referent stellt verschiedene Konzepte und Projekte vor, mit denen im Amsterdamer Anne Frank Haus versucht wird, über die Biografie Anne Franks und die Geschehnisse in der Prinsengracht Lehren aus der Geschichte des Nationalsozialismus für die Gegenwart zu ziehen. 

Mittwoch, 13. November, 10.30 Uhr

„Wolfskinder“
In der Reihe „Forum Zeitgeschichte“
Eintritt: frei

Zu den besonderen Schicksalen des Zweiten Weltkriegs gehören die sog. Wolfskinder. In den Wirren am Kriegende verloren die Kriegswaisen den Kontakt zu ihren Familien und Angehörigen, versteckten sich in Wäldern und versuchten, irgendwie zu überleben. Es werden Personen gesucht, die über „Wolfskinder“ berichten können. 

Freitag, 15. November 2024, 19 Uhr

„Calmeyer ist immer noch ein Menschenretter“
Zeitzeugengespräch mit Robert van Galen, Amsterdam
Eintritt: frei

Robert van Galen berichtet über das Leben seiner Mutter Ruth van Galen. Sie wurde von Hans Georg Calmeyer zusammen mit ihren älteren Geschwistern gerettet, anders als ihre Eltern, die im KZ Bergen-Belsen ermordet wurden. Er selber ist in der Überzeugung aufgewachsen, Calmeyer sei ein „Menschenretter“. Seine Mutter hat sich lange nicht um Calmeyer bemüht, bis in den Niederlanden eine Diskussion über ihn ausbrach und sie ein Buch geschrieben hat, in dem sie ihn verteidigt. 

Donnerstag, 21. November, 19 Uhr

„Mémorial“
Lesung mit Cécile Wajsbrot
In der Reihe „Geschichte(n) erzählen“
Eintritt: 9 Euro / ermäßigt 7 Euro, Karten können an der Museumskasse erworben werden

Was bedeutet Herkunft? Was bedeutet es, ein Erbe anzutreten, wenn die Vergangenheit verstummt? Eine Frau steht auf einem Bahnsteig und wartet auf ihren Zug. Sie will in jene polnische Stadt reisen, die ihre Großeltern mit ihrem Vater einst verließen. Sie begibt sich auf die Suche nach der Vergangenheit, als das Gedächtnis des Vaters und die Erinnerungen allmählich verblassen, um eine Antwort zu finden – doch worauf? Mehrere Stimmen begleiten sie: Stimmen aus der Vergangenheit, aus ihrem Inneren, aus dem Unbekannten? 

Donnerstag, 5. Dezember, 19 Uhr

„Der Fall Pfingst – die früheste „Arisierung“ in Osnabrück“
Martina Sellmeyer, Osnabrück
In der Reihe „Topografien des Terrors“
Eintritt: frei

Der erste Boykott gegen ein Geschäft eines jüdischen Inhabers in Osnabrück begann bereits vor 1933; noch nicht als „Arisierung“, sondern als Kampf gegen ein modernes Einheitspreisgeschäft an der Großen Straße. Dennoch waren an dem „Fall Pfingst“ alle späteren Protagonisten der „Arisierungen“ beteiligt: Oberbürgermeister, Regierungspräsiden und – teils offen im Landtag, teils „undercover“ agierend - Vertreter der NSDAP. Dass die treibende Kraft aber die Osnabrücker Kaufmannschaft, vertreten durch den Detaillistenverein, war, verweist auf die Interessenlagen hinter der systematischen Vernichtung der Existenzen jüdischer Kaufleute ab 1933. Der Fall des Kleinwarenhauses Heinrich Pfingst enthüllt ferner, warum ein Mitglied der Familie Flatauer aus der Herderstraße bereits Anfang 1933 im „Braunen Haus“ halbtot geprügelt wurde. Interessant ist er auch deshalb, weil hier die Angestellten des Geschäfts öffentlich Stellung zu den Diffamierungskampagnen mit reißerischen Schlagzeilen wie „Mädchenschicksale im Kleinwarenhaus“ gegen die jüdischen Geschäftsführer Stellung nahmen.

Mittwoch, 11. Dezember, 10.30 Uhr

„2025 planen“
In der Reihe „Forum Zeitgeschichte“
Eintritt: frei

Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen treffen sich in gemütlicher, vorweihnachtlicher Atmosphäre, um die Veranstaltungen der vergangenen Monate noch einmal Revue passieren zu lassen und gemeinsam neue Themen für das kommende Jahr 2025 vorzubereiten.

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Galerie

  • Alexa Hennig von Lange
    Alexa Hennig von Lange
  • Andrea von Treuenfeld
    Andrea von Treuenfeld
  • Anne Frank (1929-1945), Fotografie/Schriftprobe, 1942
    Anne Frank (1929-1945), Fotografie/Schriftprobe, 1942
  • Meron Mendel und Saba-Nur Cheema
    Meron Mendel und Saba-Nur Cheema
  • Forum Zeitgeschichte
    Forum Zeitgeschichte
  • Hans Calmeyer
    Hans Calmeyer
  • Hans Castrup
    Hans Castrup
  • Ruth van Galen
    Ruth van Galen
  • Julius Cantor Osnabrück: Wild-, Geflügel-Großhandlung und Mästerei, 20. September 1933
    Julius Cantor Osnabrück: Wild-, Geflügel-Großhandlung und Mästerei, 20. September 1933