Der Friedenspreis
Alle zwei Jahre vergibt Osnabrück den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis.
Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis„Den diesjährigen Remarque-Friedenspreis möchten wir verstanden wissen als ein Zeichen der Hoffnung: Die Logik des Krieges soll nicht das letzte Wort haben. Das letzte Wort muss die Sprache der Humanität haben, die auch Menschen verfeindeter Staaten verbindet. Die Gewalt des Krieges darf die Sprache von Literatur und Kunst nicht zum Schweigen bringen“, sagt die Vorsitzende der Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis-Jury, Prof. Dr. Susanne Menzel-Riedl, Präsidentin der Universität Osnabrück.
„Deswegen hatten wir die Hoffnung, eine Schriftstellerin Russlands und einen Künstler der Ukraine nach Osnabrück einladen zu können, um sie mit dem Remarque-Friedenspreis und dem Sonderpreis zu ehren“, ergänzt die stellvertretende Vorsitzende der Jury, Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter.
„Wir freuen uns, dass die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja den Friedenspreis und der ukrainische Zeichner Sergiy Maidukov den Sonderpreis annehmen, müssen aber zugleich auch akzeptieren, dass beide, solange der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine nicht beendet ist, sich nicht auf ein Podium einfinden können“, erklären Menzel-Riedl und Pötter. „Daher werden wir Ljudmila Jewgenjewna Ulitzkaja und Sergiy Maidukov an verschiedenen Terminen den Preis überreichen.“
Seit 1991 verleiht die Stadt Osnabrück alle zwei Jahre den nach dem in Osnabrück geborenen Schriftsteller Erich Maria Remarque benannten Friedenspreis. In diesem Jahr wird die Auszeichnung zum 16. Mal vergeben.
Den mit 25.000 Euro dotierten Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis erhält die russische SchriftstellerinLjudmila Jewgenjewna Ulitzkaja, die seit März 2022 im Exil in Berlin lebt. Sie gilt als eine der wichtigsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Russlands. Ihre kritische Haltung gegenüber dem damaligen sowjetischen und jetzt russischen Regime drückt sie in Romanen und Erzählungen aus, die nicht nur die russische Tragödie des 20. Jahrhunderts widerspiegeln, ein Jahrhundert der Gewaltherrschaft und des Genozids. Sie spricht sich ebenso gegen die aktuelle Kriegspolitik Putins aus und gehörte zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes, bezeichnet den Krieg gegen die Ukraine als „Schande“, als „Wahnsinn eines Mannes“. Ulitzkaja gilt als „Stimme eines anderen Russlands“ und ihre Bücher sind seit Februar 2023 in Russland verboten.
Auf die Nachricht der Verleihung des Remarque-Friedenspreises an sie schrieb sie zurück:
"Die Verleihung des Erich Maria Remarque Friedenspreises ist für mich als russische Autorin eine große Ehre. Als ich von der Verleihung des Preises an mich erfuhr, griff ich noch einmal zu Remarque und konnte mich, genau wie in meiner Jugend, kaum davon losreißen.
Ich danke der Jury für die mir zuteil gewordene Ehre. Ich bin vor ein paar Tagen achtzig Jahre alt geworden, und dieser Preis ist das schönste Geburtstagsgeschenk, das ich mir je hätte träumen lassen. Vielen Dank."
Die Vergabe des Hauptpreises an Ljudmila Ulitzkaja wird stattfinden am Donnerstag, 22. Juni 2023, der zugleich der 125. Geburtstag Erich Maria Remarques ist. Aus diesem Anlass wird der Festakt in eine große Abendveranstaltung in der OsnabrückHalle integriert, bei der z.B. die niederländische Band „De Kift“ spielen wird. Die Laudatio übernimmt Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum, Mitglied der Jury und Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin. Die Öffentlichkeit ist herzlich eingeladen, diesem Ereignis beizuwohnen.
Der Eintritt ist – nach vorheriger Anmeldung – frei.
Der ukrainische Zeichner Sergiy Maidukov wird mit dem diesjährigen Sonderpreis ausgezeichnet. Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine werden seine Illustrationen, die den Kriegsalltag in Kiew und anderen Städten der Ukraine in verschiedenen Zeitungen weltweit abgedruckt, u.a. im ZEITmagazin, The New Yorker, The Guardian, The Wall Street Journal und der Financial Times. Als freiwilliger Helfer besuchte er Irpin und Butscha kurz nach deren Befreiung, sowie andere belagerte Städte und hielt das Erlebte und Gesehene in seinen Zeichnungen fest. Eine Ausstellung wird einige seiner Illustrationen der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Es sei eine Ehre für ihn, ausgezeichnet zu werden, aber er bittet um Verständnis, dass er nicht kommen könne. Da die Ausreise aus der Ukraine zu kulturellen Anlässen momentan nicht möglich ist, wird er zu einem anderen Zeitpunkt nach Osnabrück kommen und den Preis entgegennehmen. Darüber hinaus möchte Sergiy Maidukov auch aus persönlichen Gründen nicht an der zentralen Preisverleihung teilnehmen: „Taking care of my psychics, I avoid hard feelings these times, I have enough of a Russian presence in my life so far, so I would come just another day than the Ceremony. I would be honoured to come and to meet you and the team live and say thank you live“ [Da ich mich um meine Psyche sorge, vermeide ich schwierige Gefühle in diesen Zeiten. Ich habe bisher genug russische Präsenz in meinem Leben, also würde ich nur an einem anderen Tag als der Zeremonie kommen. Es wäre mir eine Ehre, zu kommen und Sie und das Team live zu treffen und mich live zu bedanken].
Der Editorial Director des ZEITmagazins, Christoph Amend, wird bei der Übergabe des Preises an Sergiy Maidukov ebenfalls dabei sein und ein Gespräch mit ihm über seine Erlebnisse und seine Illustrationen führen, die in einer Ausstellung präsentiert werden.
*21. Februar 1943 in Dawlekanowo, Baschkirien
Ljudmila Jewgenjewna Ulitzkaja ist eine russische Schriftstellerin, die die russische und die jüdische Erzähltradition mit moderner Erzählkunst zusammenführt. Sie studierte Biologie mit einem Abschluss in Genetik und arbeitete ab 1967 als Genetikerin am Akademie-Institut in Moskau, wurde aber wegen der illegalen Abschrift und Verbreitung von Samisdat-Literatur entlassen. Danach war sie zwei Jahre am Jüdischen Kammermusiktheater als literarische Beraterin tätig, bevor sie sich als freischaffende Autorin und Publizistin etablieren konnte. 1983 wurde ihr erster Erzählband im Staatlichen Kinderbuchverlag veröffentlicht. Mit der Veröffentlichung von Sonetschka (1992) wurde Ljudmila Uliztkaja als Prosaautorin entdeckt; im selben Jahr erschien auch ihre erste Erzählung in Deutschland, wo ihr Werk vor allem in Fernsehsendungen von Elke Heidenreich einem breiteren Publikum bekannt gemacht wurde. Ljudmila Ulitzkajas Bücher sind in 17 Sprachen übersetzt worden.
Im Jahr 2012 war sie an den Protesten gegen Präsident Putin beteiligt. Im Jahr 2014 beklagte sie die „beispiellose Manipulation“ der Öffentlichkeit durch die Propaganda, deren Lügen alle Rekorde brächen. Am 28. April 2016 wurde sie Opfer einer Seljonka-Attacke, ausgeführt von Mitgliedern der „Nationalen Befreiungsbewegung“. Ulitzkaja meinte dazu, dass diese „armen, unglücklichen und manipulierten Idioten“ im Dienste des Kreml stünden.
Im Februar 2022 unterzeichnete sie einen Appell mehrerer Dutzend russischer Künstler und Schriftsteller, in dem der Überfall der russischen Streitkräfte auf die Ukraine als „Schande“ bezeichnet und ein sofortiges Ende der Kämpfe gefordert wurde.
Ulitzkaja wird als eine unbestechliche Autorin gewürdigt. Auf eindringliche Weise führe sie die russische und die jüdische Erzähltradition mit moderner Erzählkunst zusammen, so heißt es in der Begründung für die Auszeichnung mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur, der jährlich für das literarische Gesamtwerk einer europäischen Autorin bzw. eines Autors vergeben wird.
Seit Anfang März 2022 hält sich Ulitzkaja in Berlin auf.
Sergiy Maidukov (geb. 1981) ist einer der bekanntesten Illustratoren der Ukraine. Er ist in Kiew geblieben und zeichnet von dort, was er in diesen Tagen sieht und erlebt. Bereits im März 2022 begann er in der Kolumne »Tagebuch aus Kiew« des ZEITmagazins regelmäßig Illustrationen zu publizieren.
Die ersten Szenen des Kriegs hielt er gleich nach Beginn der Invasion fest: „Meine Angstzustände waren so groß, ich musste mich irgendwie beruhigen, und ich war allein. Also nahm ich mein iPad und machte, was ich immer mache: zeichnen“, sagt er dem ZEITmagazin im Interview. Maidukov ist als einziger seiner Familie in Kiew geblieben. „Erstens, weil ich Kiew liebe, und zweitens, weil ich Widerstand leisten will“, so der Illustrator. „Ich würde alles dafür geben, in einer freien und demokratischen Ukraine zu leben – alles, außer mein Leben.“
Er besuchte die Städte Irpin und Butscha kurz nach ihrer Befreiung, ebenso die Stadt und Oblast Charkiw während der Belagerung im Sommer 2022, Bachmut (einschließlich der Frontlinie) Ende September, Izium sowie andere Städte und Ortschaften, und hielt Erlebtes in seinen Zeichnungen fest.
Er arbeitet seit 2011 als Illustrator und hat seitdem mit verschiedenen Zeitschriften und ausländischen Medien wie z. B. The New Yorker, The Guardian, The Wall Street Journal, The Financial Times und andere. Zu seinen Kunden gehören Google, Adobe, British Royal Dance Academy, Kyiv Central Department Store und andere große Marken.
Maidukov ist ein produktiver Künstler, der in einem Jahr mehr als 120 Illustrationen fertigstellt. Er zeichnet die ganze Zeit, weil er glaubt, dass Quantität zu Qualität wird. Sein schnelles Tempo, sein großer Arbeitshunger und sein einzigartiger Stil haben ihn zu einem wertvollen Illustrator gemacht.